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Dreh- und Angelpunkt dieses historischen Romans sind die Wandteppiche "Dame mit dem Einhorn", die man heute noch im Pariser Museum Cluny bewundern kann. Die Geschichte konzentriert sich dabei ganz auf die (vermuteten) zwei Jahre ihres Entstehens von 1490 bis 1492 in Paris und Brüssel. Tracey Chevalier ist es wirklich gelungen, die spätmittelalterliche Welt des adligen Pariser Auftraggebers und vor allem die Werkstatt des Brüssler Wirkers, also des Tapisserieherstellers, zum Leben zu erwecken, indem sie die Geschichte aus der Perspektive der Beteiligten erzählen lässt. So kommen der Maler, Frau und Tochter des Auftraggebers, alle Familienmitglieder der Wirkerwerkstatt zu Wort. Mit diesem häufigen Perspektivenwechsel hat sich Chevalier in andere Hinsicht jedoch übernommen. Sie hat es nicht geschafft, jeder Stimme eine unverwechselbare Qualität zu geben und sie deutlich von den anderen zu unterscheiden. Nur Kapitelüberschriften verhindern, dass man als Leser durcheinander kommt. Beim Lesen wird schnell deutlich, dass die Charaktere und Handlung völlig der Absicht untergeordnet sind, eine plausible Entstehungsgeschichte der Tapisserien zu liefern. Mir selbst hat der Roman gefallen, weil ich auf die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte neugierig war und ein Vorstellung von der aufreibenden Arbeit eines spätmittelalterlichen Handwerkers bekommen habe. Wer allerdings nach einer überzeugenden Handlung und komplexen Charakteren sucht, sollte lieber zu einem anderen Roman greifen.