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Ich habe den Roman vor vielen Jahren bereits gelesen, ich kann mich erinnern, dass ich absolut begeistert war und den Roman auch in meiner „All Time Best List“ aufgenommen habe. Nachdem die Figuren (bzw. Vor- und Nachfahren) des Romans, insbesondere Waterhouse & Shaftoe, immer wieder in anderen Werken des Autors auftauchen (z.B. in der „Barock-Trilogie“ oder „Corvus“) wollte ich mir den Backstein-Ziegel (ca. 1200) Seiten nochmals vornehmen, ich habe mir das Buch von Zeit zu Zeit immer wieder zur Hand genommen und habe darin geschmökert und habe geschwelgt in der Welt, die Stephenson dermaßen detailliert gezeichnet hat.
Der Inhalt ist, nicht nur wegen des Umfangs, schwierig wiederzugeben, deshalb hier mal ganz kurz: Es gibt zwei Handlungsstränge, die einiges gemeinsam haben. Es geht um Datenverschlüsselung im Zweiten Weltkrieg (für die unter anderen die Figur Lawrence Pritchard Waterhouse zuständig ist, zusammen mit realen historischen Persönlichkeiten wie z.B. Alan Turing) und um Datenverschlüsselung um die Jahrtausendwende (mit der wiederum Randy Waterhouse, Enkel von Lawrence zu tun hat).
In diesen beiden Zeitebenen mischen noch die Shaftoes mit. Im Zweiten Weltkrieg ist das Sergeant Bobby Shaftoe, der in einer geheimen Elite-Einheit alles Mögliche tut, um dem Feind - also den Deutschen und den Japanern - zu schaden. Im zweiten Handlungsstrang ist das Bobbys Sohn Douglas Shaftoe, der auf den Philippinen eine Firma unterhält, die auf dem Meeresgrund nach versunkenen Schätzen sucht und Bobbys Enkelin Amy, die ihre Brötchen mit Schiffstouren und Tauchen auf den Philippinen verdient und die dabei zufällig auf Randy Waterhouse trifft. Überhaupt: Gold ist für die Geschichte auch wichtig. Es gibt Gerüchte, dass die Japaner im 2. Weltkrieg auf einer Philippinen-Insel einen riesigen Goldschatz vergraben haben. Der spielt in beiden Handlungssträngen eine Rolle. Ich fand auch, dass die Philippinen als Handlungsort gut recherchiert war, offenbar ein wichtiger Ort für den Autor.
Die Stilsicherheit, mit der Stephenson Kolportage-Elemente mit informationstheoretischen Exkursen kombiniert, beschleunigt im Verlauf der Lektüre den Lesefluss zusehends, und man ist bald geneigt, all dies als packende Unterhaltung zu konsumieren. Da aber wird auf einmal, ziemlich genau in der Mitte des Buches, eine neue Erzählmelodie erkenbar. Die Familienbeziehungen und die Doppelpräsenz einzelner Charaktere, etwa des geheimnisvollen Enoch Root, der im Weltkrieg Soldat, in der Gegenwart Emissär eines ominösen Gelehrtenbundes ist, sind nämlich nicht die einzigen Verbindungen zwischen den Ebenen. Am Scharnierpunkt des Romans erklärt der amerikanische Jude Avi Halaby seinem Freund Randy die geschichtsphilosophische Überzeugung hinter dem "Krypta"-Projekt.
Gemeint ist damit, führt Avi aus, die Verhinderung von Völkermorden. Der bisherige "infotechnische Umgang" mit dem Holocaust sei nicht geeignet, künftigen Genoziden vorzubeugen. Fortan müsse man verhindern, dass Mächtige jeglicher Art je wieder ein Informationsgefälle zwischen sich und den Bedrohten schaffen, um letztere zu Objekten zu machen. Was Stephenson hier Avi sagen und denken lässt, bedeutet keineswegs Datenanarchismus. Es geht eher um den Versuch, politische Kategorien wie Minderheitenschutz oder Freiheit auf die Datensphäre zu übertragen.
Der Roman wird von vielen als zu kompliziert und als zu technisch abgewertet, insbesondre als Stephenson mathematische Beispiele oder Verschlüsselungstabellen zum besseren Verständnis in den Text einfließen lässt, diesen Leuten kann ich nur augenzwinkernd mit einer Stelle im Roman antworten in der Randy Waterhouse und ein Geisteswissenschaftler aneinandergeraten: Der Gelehrte faselt poststrukturalistischen Unsinn übers Internet, Randy reagiert gereizt, der Gelehrte schimpft ihn einen "Technokraten", Randys Replik: "Ich bin einfach einer, der runter in die Buchhandlung gegangen ist, sich einen Stapel Lehrbücher über TCP/IP, das Standard-Kommunikationsprotokoll des Internet, gekauft und sie gelesen hat. Dann habe ich mir einen Computer besorgt, was heutzutage jeder tun kann, habe einige Jahre damit herumgespielt, und jetzt weiß ich alles darüber. Macht mich das zum Technokraten? "
Diese Replik zeigt mit wenigen Worten, wie Stephensons Vorstellung von zeitgemäßer politischer Intelligenz aussieht. Wenn ein sensibles Spionagegerät eine kleine, in den Roman mit grandioser Präzision eingepasste Fetischisten-Novelle von einem Bildschirm abliest oder ein Hacker-Gegenangriff auf Regierungsbehörden, die einen Rechner beschlagnahmen wollen, furios geschildert wird, lautet die Botschaft: Niemand soll gezwungen werden, beispielsweise Konventionen und Syntax des interaktiven Betriebssystems UNIX zu lernen. Von dessen Existenz aber nichts zu wissen und sich dafür auch nicht zu interessieren könnte für Autoren wie für deren Leser ein Handicap sein - spätestens in politischen Auseinandersetzungen der nahen Zukunft, in denen Begriffe, wie Privatsphäre, Arbeitswelt, Rezession und Demokratie zur Sprache kommen werden.
In "Cryptonomicon" erzählt Stephenson davon, dass die Wurzeln der gegenwärtigen Informationstechnologien im Zweiten Weltkrieg zu suchen sind: "denn Computertechnologie ist Kriegstechnologie". Das zeige der Entwicklungsschub, der aus dem "Krypto Krieg zwischen den Deutschen und den Alliierten um die deutsche Verschlüsselungsmaschine "Enigma entstanden ist.
Als Fazit kann ich nur sagen, dass das Buch mit ihren über 1100 Seiten, Unterhaltung im besten Sinne ist. Egal, ob der Leser gerade Bobby Shaftoe in Nordafrika, oder wenn man Lawrence Pritchard Waterhouse mit Leuten wie Alan Turing auf dem Campus einer US-amerikanischen Universität über Kryptografie diskuttierend, oder Randy Waterhouse in einer Vorstandssitzung seines Startups. begleitet: Es ist auf keiner Seite langweilig. Neal Stephenson serviert den umfassenden Plot mit viel Humor und Ironie. Und wenn mal Action angesagt ist, sind seine Helden nicht einfach strahlende Übermenschen, sondern Leute, die auch mal Angst haben und Dinge teilweise nur aus reinem Überlebenswillen tun.
Überhaupt sind die Charaktere sehr schön ausgearbeitet, mit Stärken und Schwächen wie im richtigen Leben. Das macht sie symphytisch und ihre Handlungen nachvollziehbar. Und dazu fand ich seine geistesgeschichtlichen, philosophischen Gedankengänge (s.o.) einleuchtend, augenöffnend und eindrücklich, dies alles ist, auch bei der wiederholten Lektüre, ein Meisterwerk…!
Der Inhalt ist, nicht nur wegen des Umfangs, schwierig wiederzugeben, deshalb hier mal ganz kurz: Es gibt zwei Handlungsstränge, die einiges gemeinsam haben. Es geht um Datenverschlüsselung im Zweiten Weltkrieg (für die unter anderen die Figur Lawrence Pritchard Waterhouse zuständig ist, zusammen mit realen historischen Persönlichkeiten wie z.B. Alan Turing) und um Datenverschlüsselung um die Jahrtausendwende (mit der wiederum Randy Waterhouse, Enkel von Lawrence zu tun hat).
In diesen beiden Zeitebenen mischen noch die Shaftoes mit. Im Zweiten Weltkrieg ist das Sergeant Bobby Shaftoe, der in einer geheimen Elite-Einheit alles Mögliche tut, um dem Feind - also den Deutschen und den Japanern - zu schaden. Im zweiten Handlungsstrang ist das Bobbys Sohn Douglas Shaftoe, der auf den Philippinen eine Firma unterhält, die auf dem Meeresgrund nach versunkenen Schätzen sucht und Bobbys Enkelin Amy, die ihre Brötchen mit Schiffstouren und Tauchen auf den Philippinen verdient und die dabei zufällig auf Randy Waterhouse trifft. Überhaupt: Gold ist für die Geschichte auch wichtig. Es gibt Gerüchte, dass die Japaner im 2. Weltkrieg auf einer Philippinen-Insel einen riesigen Goldschatz vergraben haben. Der spielt in beiden Handlungssträngen eine Rolle. Ich fand auch, dass die Philippinen als Handlungsort gut recherchiert war, offenbar ein wichtiger Ort für den Autor.
Die Stilsicherheit, mit der Stephenson Kolportage-Elemente mit informationstheoretischen Exkursen kombiniert, beschleunigt im Verlauf der Lektüre den Lesefluss zusehends, und man ist bald geneigt, all dies als packende Unterhaltung zu konsumieren. Da aber wird auf einmal, ziemlich genau in der Mitte des Buches, eine neue Erzählmelodie erkenbar. Die Familienbeziehungen und die Doppelpräsenz einzelner Charaktere, etwa des geheimnisvollen Enoch Root, der im Weltkrieg Soldat, in der Gegenwart Emissär eines ominösen Gelehrtenbundes ist, sind nämlich nicht die einzigen Verbindungen zwischen den Ebenen. Am Scharnierpunkt des Romans erklärt der amerikanische Jude Avi Halaby seinem Freund Randy die geschichtsphilosophische Überzeugung hinter dem "Krypta"-Projekt.
Gemeint ist damit, führt Avi aus, die Verhinderung von Völkermorden. Der bisherige "infotechnische Umgang" mit dem Holocaust sei nicht geeignet, künftigen Genoziden vorzubeugen. Fortan müsse man verhindern, dass Mächtige jeglicher Art je wieder ein Informationsgefälle zwischen sich und den Bedrohten schaffen, um letztere zu Objekten zu machen. Was Stephenson hier Avi sagen und denken lässt, bedeutet keineswegs Datenanarchismus. Es geht eher um den Versuch, politische Kategorien wie Minderheitenschutz oder Freiheit auf die Datensphäre zu übertragen.
Der Roman wird von vielen als zu kompliziert und als zu technisch abgewertet, insbesondre als Stephenson mathematische Beispiele oder Verschlüsselungstabellen zum besseren Verständnis in den Text einfließen lässt, diesen Leuten kann ich nur augenzwinkernd mit einer Stelle im Roman antworten in der Randy Waterhouse und ein Geisteswissenschaftler aneinandergeraten: Der Gelehrte faselt poststrukturalistischen Unsinn übers Internet, Randy reagiert gereizt, der Gelehrte schimpft ihn einen "Technokraten", Randys Replik: "Ich bin einfach einer, der runter in die Buchhandlung gegangen ist, sich einen Stapel Lehrbücher über TCP/IP, das Standard-Kommunikationsprotokoll des Internet, gekauft und sie gelesen hat. Dann habe ich mir einen Computer besorgt, was heutzutage jeder tun kann, habe einige Jahre damit herumgespielt, und jetzt weiß ich alles darüber. Macht mich das zum Technokraten? "
Diese Replik zeigt mit wenigen Worten, wie Stephensons Vorstellung von zeitgemäßer politischer Intelligenz aussieht. Wenn ein sensibles Spionagegerät eine kleine, in den Roman mit grandioser Präzision eingepasste Fetischisten-Novelle von einem Bildschirm abliest oder ein Hacker-Gegenangriff auf Regierungsbehörden, die einen Rechner beschlagnahmen wollen, furios geschildert wird, lautet die Botschaft: Niemand soll gezwungen werden, beispielsweise Konventionen und Syntax des interaktiven Betriebssystems UNIX zu lernen. Von dessen Existenz aber nichts zu wissen und sich dafür auch nicht zu interessieren könnte für Autoren wie für deren Leser ein Handicap sein - spätestens in politischen Auseinandersetzungen der nahen Zukunft, in denen Begriffe, wie Privatsphäre, Arbeitswelt, Rezession und Demokratie zur Sprache kommen werden.
In "Cryptonomicon" erzählt Stephenson davon, dass die Wurzeln der gegenwärtigen Informationstechnologien im Zweiten Weltkrieg zu suchen sind: "denn Computertechnologie ist Kriegstechnologie". Das zeige der Entwicklungsschub, der aus dem "Krypto Krieg zwischen den Deutschen und den Alliierten um die deutsche Verschlüsselungsmaschine "Enigma entstanden ist.
Als Fazit kann ich nur sagen, dass das Buch mit ihren über 1100 Seiten, Unterhaltung im besten Sinne ist. Egal, ob der Leser gerade Bobby Shaftoe in Nordafrika, oder wenn man Lawrence Pritchard Waterhouse mit Leuten wie Alan Turing auf dem Campus einer US-amerikanischen Universität über Kryptografie diskuttierend, oder Randy Waterhouse in einer Vorstandssitzung seines Startups. begleitet: Es ist auf keiner Seite langweilig. Neal Stephenson serviert den umfassenden Plot mit viel Humor und Ironie. Und wenn mal Action angesagt ist, sind seine Helden nicht einfach strahlende Übermenschen, sondern Leute, die auch mal Angst haben und Dinge teilweise nur aus reinem Überlebenswillen tun.
Überhaupt sind die Charaktere sehr schön ausgearbeitet, mit Stärken und Schwächen wie im richtigen Leben. Das macht sie symphytisch und ihre Handlungen nachvollziehbar. Und dazu fand ich seine geistesgeschichtlichen, philosophischen Gedankengänge (s.o.) einleuchtend, augenöffnend und eindrücklich, dies alles ist, auch bei der wiederholten Lektüre, ein Meisterwerk…!