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Ein zweitrangiger Yuppie verschafft sich durch Gewaltexzesse Erleichterung. Realitätsverlust als Plot, konsequent und atemberaubend umgesetzt.
Inhalt: 4/5 Sterne (intensive Gewaltexzesse und unterhaltsame Tristesse)
Form: 3/5 Sterne (instrumentelle, plakative Sprache, aber mit Drive)
Komposition: 5/5 Sterne (rhythmisch-dynamisch Eindimensionalität vermieden)
Leseerlebnis: 5/5 Sterne (ein Drahtseilakt der Atemlosigkeit)
Nur wenige Bücher schaffen es heutzutage noch auf den Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdete Medien. „American Psycho“ von Bret Easton Ellis, erschienen im Jahr 1991, gelang dies 1995, bis die Indizierung 2001 wieder aufgehoben wurde. In der Tat besitzt der Roman an Grausamkeit kaum zu überbietende Stellen. Patrick Bateman, ein 26-jähriger Wallstreet-Yuppie, langweilt sich in seinem Berufs- und Privatleben, verbringt viel Zeit in Fitness- und Wellness-Studios und leiht sich zumeist Horror- und Gewaltfilme aus:
Nach weiteren Stretchingübungen zur Entspannung nehme ich schnell eine heiße Dusche, eile dann zur Videothek und gebe die zwei Kassetten, die ich am Montag ausgeliehen habe, zurück, She-Male Reformatory und Der Tod kommt zweimal, aber Der Tod kommt zweimal leihe ich erneut aus, denn ich will es mir heute abend noch mal ansehen, obwohl mir klar ist, daß ich nicht genügend Zeit haben werde, zu der Szene zu masturbieren, in der die Frau mit der Schlagbohrmaschine getötet wird, weil ich mit Courtney für halb acht im Café Luxembourg verabredet bin.
Nebenher trifft er sich mit seinen Freunden, die sich alle gegenseitig verwechseln, betrachtet das Straßenleben New Yorks und bewertet und beurteilt das Leben der Obdachlosen und rezensiert hier und da Musik (Genesis, Huey Lewis and the News, Whitney Houston). Gebunden wird der Text durch viele Markennamen, Modebetrachtungen und Kleidungsstilfragen, sowie den neuesten technologischen Geräten und Möglichkeiten, TV-Talkshows und Klatsch und Tratsch aus der Finanzbranche. Diese beinahe unerträgliche Tristesse durchbricht der Roman, der aus dem Präsenz einer Ich-Perspektive konsequent umgesetzt und als Wiederholung des Immergleichen inszeniert ist, mittels radikalen Gewalt-, Vergewaltigungs- und Folterszenen von Männern wie Frauen wie Kindern, die Bateman mehr oder weniger zufällig über den Weg laufen:
Obwohl ich zuerst zufrieden mit mir bin, durchfährt mich plötzlich klägliche Verzweiflung darüber, wie sinnlos, wie außerordentlich schmerzlos es ist, ein Kind ums Leben zu bringen. Dieses Ding vor mir, klein und verkrümmt und blutig, hat keine eigene Geschichte, keine nennenswerte Vergangenheit, nichts Wichtiges geht verloren. […] Automatisch überkommt mich das schier überwältigende Verlangen, auch die Mutter des Kindes zu erschlagen, die in Hysterie verfallen ist, aber ich kann nicht mehr tun, als sie grob ins Gesicht zu schlagen und sie anzuschreien, sie soll still sein.
Erstaunlich klar, intensiv-verdichtend repetiert Easton Ellis die Tagesabläufe Batemans. Die Ich-Perspektive erlaubt eine Immersion, die selbst brutale Gewaltszenen erträglich werden lässt, da das erlebende Ich keine Beziehung zu seinen Taten besitzt und so plausibel erscheint. Je länger der Roman anhält, desto deutlicher wird auch die Spaltung, die innere Distanz, die Unzuverlässigkeit des Realitätserlebens und stellt die Szenen in den mehr oder weniger videographischen Kontext seiner Gewaltfilm- und Pornosucht, die sich wie Tagträume den Weg in sein Alltagsbewusstsein schaffen:
Das Leben blieb eine nackte Leinwand, ein Klischee, eine Soap Opera. Ich fühlte mich tödlich, am Rande der Raserei. Mein nächtlicher Blutdurst sickerte in meine Tage durch, und ich mußte die Stadt verlassen. Meine Maske geistiger Gesundheit bröckelte bedenklich. Das war meine tote Saison, und ich mußte raus aus der Stadt. Ich mußte in die Hamptons.
Die Gewaltausbrüche fungieren als Kurzurlaub, den er schließlich auch mit seiner Fast-Verlobten Evelyn unternimmt, nur um festzustellen, dass Urlaub nicht ausreicht, um sich selbst und seiner eigenen Leerheit zu entkommen. Mit fesselnden, sich immer weiter in Gewaltschraubenden hineindrehenden Prosastanzen vermag der Roman eine Psyche zu rekonstruieren, die das Höchstmaß an Selbstüberdruss zu ertragen versucht und just an dieser Aufgabe, als Gipfelstürmer der Dekadentexistenz, scheitern muss.
Dieses Scheitern mit all seinen Facetten eingefangen zu haben, darin besteht der Verdienst dieses an Eindringlichkeit kaum zu überbietenden Romans, der zeigt, wie die Banalität des Bösen erscheint und doch für andere, trotz schier überbordender Perversion, unsichtbar bleibt. Bret Easton Ellis setzt diese Ästhetik mit „American Psycho“ konsequenter um als selbst Vladimir Nabokov in „Lolita“ und schon erst recht als Quentin Tarantino in „Es war einmal in Hollywood“, von Gaea Schoeters „Trophäe“ gar nicht zu sprechen, indem er die Figur selbst und nicht die Erscheinungsweise für andere zur Sprache kommen lässt und sie nicht durch Selbstrechtfertigung in ihrer Plausibilität unterminiert und so in Mitleidenschaft zieht.
Ärgerlich: teilweise zu brutale Stellen, die dem Buch nichts hinzufügen (Stichwort: Ratte), die die Sensationslust befriedigen sollen, und genau hier ins Illustrative der ohnehin kargen Sprache abschweifen.
Erfreulich: das Psychogramm ungebrochen bis zuletzt durchgehalten, und die in Schwebe gehaltene Realitätsverlusteskapade erst am Ende, letzte drei Seiten, befriedigend dargelegt und aufgelöst. Die Perspektive selbst war der Plot.
Inhalt: 4/5 Sterne (intensive Gewaltexzesse und unterhaltsame Tristesse)
Form: 3/5 Sterne (instrumentelle, plakative Sprache, aber mit Drive)
Komposition: 5/5 Sterne (rhythmisch-dynamisch Eindimensionalität vermieden)
Leseerlebnis: 5/5 Sterne (ein Drahtseilakt der Atemlosigkeit)
Nur wenige Bücher schaffen es heutzutage noch auf den Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdete Medien. „American Psycho“ von Bret Easton Ellis, erschienen im Jahr 1991, gelang dies 1995, bis die Indizierung 2001 wieder aufgehoben wurde. In der Tat besitzt der Roman an Grausamkeit kaum zu überbietende Stellen. Patrick Bateman, ein 26-jähriger Wallstreet-Yuppie, langweilt sich in seinem Berufs- und Privatleben, verbringt viel Zeit in Fitness- und Wellness-Studios und leiht sich zumeist Horror- und Gewaltfilme aus:
Nach weiteren Stretchingübungen zur Entspannung nehme ich schnell eine heiße Dusche, eile dann zur Videothek und gebe die zwei Kassetten, die ich am Montag ausgeliehen habe, zurück, She-Male Reformatory und Der Tod kommt zweimal, aber Der Tod kommt zweimal leihe ich erneut aus, denn ich will es mir heute abend noch mal ansehen, obwohl mir klar ist, daß ich nicht genügend Zeit haben werde, zu der Szene zu masturbieren, in der die Frau mit der Schlagbohrmaschine getötet wird, weil ich mit Courtney für halb acht im Café Luxembourg verabredet bin.
Nebenher trifft er sich mit seinen Freunden, die sich alle gegenseitig verwechseln, betrachtet das Straßenleben New Yorks und bewertet und beurteilt das Leben der Obdachlosen und rezensiert hier und da Musik (Genesis, Huey Lewis and the News, Whitney Houston). Gebunden wird der Text durch viele Markennamen, Modebetrachtungen und Kleidungsstilfragen, sowie den neuesten technologischen Geräten und Möglichkeiten, TV-Talkshows und Klatsch und Tratsch aus der Finanzbranche. Diese beinahe unerträgliche Tristesse durchbricht der Roman, der aus dem Präsenz einer Ich-Perspektive konsequent umgesetzt und als Wiederholung des Immergleichen inszeniert ist, mittels radikalen Gewalt-, Vergewaltigungs- und Folterszenen von Männern wie Frauen wie Kindern, die Bateman mehr oder weniger zufällig über den Weg laufen:
Obwohl ich zuerst zufrieden mit mir bin, durchfährt mich plötzlich klägliche Verzweiflung darüber, wie sinnlos, wie außerordentlich schmerzlos es ist, ein Kind ums Leben zu bringen. Dieses Ding vor mir, klein und verkrümmt und blutig, hat keine eigene Geschichte, keine nennenswerte Vergangenheit, nichts Wichtiges geht verloren. […] Automatisch überkommt mich das schier überwältigende Verlangen, auch die Mutter des Kindes zu erschlagen, die in Hysterie verfallen ist, aber ich kann nicht mehr tun, als sie grob ins Gesicht zu schlagen und sie anzuschreien, sie soll still sein.
Erstaunlich klar, intensiv-verdichtend repetiert Easton Ellis die Tagesabläufe Batemans. Die Ich-Perspektive erlaubt eine Immersion, die selbst brutale Gewaltszenen erträglich werden lässt, da das erlebende Ich keine Beziehung zu seinen Taten besitzt und so plausibel erscheint. Je länger der Roman anhält, desto deutlicher wird auch die Spaltung, die innere Distanz, die Unzuverlässigkeit des Realitätserlebens und stellt die Szenen in den mehr oder weniger videographischen Kontext seiner Gewaltfilm- und Pornosucht, die sich wie Tagträume den Weg in sein Alltagsbewusstsein schaffen:
Das Leben blieb eine nackte Leinwand, ein Klischee, eine Soap Opera. Ich fühlte mich tödlich, am Rande der Raserei. Mein nächtlicher Blutdurst sickerte in meine Tage durch, und ich mußte die Stadt verlassen. Meine Maske geistiger Gesundheit bröckelte bedenklich. Das war meine tote Saison, und ich mußte raus aus der Stadt. Ich mußte in die Hamptons.
Die Gewaltausbrüche fungieren als Kurzurlaub, den er schließlich auch mit seiner Fast-Verlobten Evelyn unternimmt, nur um festzustellen, dass Urlaub nicht ausreicht, um sich selbst und seiner eigenen Leerheit zu entkommen. Mit fesselnden, sich immer weiter in Gewaltschraubenden hineindrehenden Prosastanzen vermag der Roman eine Psyche zu rekonstruieren, die das Höchstmaß an Selbstüberdruss zu ertragen versucht und just an dieser Aufgabe, als Gipfelstürmer der Dekadentexistenz, scheitern muss.
Dieses Scheitern mit all seinen Facetten eingefangen zu haben, darin besteht der Verdienst dieses an Eindringlichkeit kaum zu überbietenden Romans, der zeigt, wie die Banalität des Bösen erscheint und doch für andere, trotz schier überbordender Perversion, unsichtbar bleibt. Bret Easton Ellis setzt diese Ästhetik mit „American Psycho“ konsequenter um als selbst Vladimir Nabokov in „Lolita“ und schon erst recht als Quentin Tarantino in „Es war einmal in Hollywood“, von Gaea Schoeters „Trophäe“ gar nicht zu sprechen, indem er die Figur selbst und nicht die Erscheinungsweise für andere zur Sprache kommen lässt und sie nicht durch Selbstrechtfertigung in ihrer Plausibilität unterminiert und so in Mitleidenschaft zieht.
Ärgerlich: teilweise zu brutale Stellen, die dem Buch nichts hinzufügen (Stichwort: Ratte), die die Sensationslust befriedigen sollen, und genau hier ins Illustrative der ohnehin kargen Sprache abschweifen.
Erfreulich: das Psychogramm ungebrochen bis zuletzt durchgehalten, und die in Schwebe gehaltene Realitätsverlusteskapade erst am Ende, letzte drei Seiten, befriedigend dargelegt und aufgelöst. Die Perspektive selbst war der Plot.